Große Erfolge mit Stammzellen

Große Erfolge mit Stammzellen

Orthopädie. Mit Zellen aus körpereigenem Blut kann Knorpel wiederaufgebaut werden. Die Methode ist sicher, vergleichsweise günstig und kommt auch in Österreich zunehmend zur Anwendung.

Wien. Arthrose, also der verschleißbedingte Abbau des Knorpels in den Gelenken, ist eine Volkskrankheit, die mit starken Schmerzen, Schwellungen und Bewegungseinschränkungen einhergeht. Betroffen sind Hunderttausende Personen – insbesondere in höherem Alter. Eine neue Methode, die in Ländern wie Südkorea, Japan und den USA schon seit rund 15 Jahren sehr erfolgreich angewendet wird, setzt sich langsam auch in Europa und Österreich durch. Dabei kommen Stammzellen und andere Zellen aus dem eigenen Blut zum Einsatz. Die Erfolgsrate ist beachtlich – vor allem im Vergleich zu Prothesen, bei denen Komplikationen wie Blutungen, Lockerungen und Infektionen nicht selten sind, schließlich handelt es sich dabei um große Eingriffe.

 

Wie funktioniert der Einsatz von Stammzellen aus eigenem Blut?

Bei dieser Methode wird den Patienten Blut aus einer Unterarmvene abgenommen und daraus Stammzellen sowie plättchenreiches Plasma gewonnen. Stammzellen sind sogenannte pluripotente Zellen, sie können sich also in andere Zellen verwandeln. Auch in Knorpelzellen, sodass sich der Knorpel in den Gelenken regeneriert, nachdem die Stammzellen (zusammen mit dem plättchenreichen Plasma, das unterstützend wirkt) injiziert wurden. Stammzellen können nicht nur aus dem Blut, sondern auch aus Fettgewebe und Knochenmark (aus dem Beckenkamm mit lokaler Anästhesie und somit schmerzfrei) gewonnen werden. Die Verwandlungsfähigkeit ist eine von zwei Wirkungen von Stammzellen, die zweite ist die sogenannte parakrine Wirkung. Das bedeutet, dass sie Wachstumsfaktoren

(Exosomen) produzieren können. Diese Wachstumsfaktoren werden durch Zentrifugation (mittels Ultraschall) freigesetzt und ebenfalls in das betroffene Gelenk injiziert – sie hemmen die Entzündungsprozesse in den Gelenken. „Jeder Knorpelschaden führt zu einer Entzündungsreaktion, sogenannter Inflammation“, sagt der Wiener Orthopäde Patrick Weninger, er ist der Pionier dieser Methode in Österreich und hat gemeinsam mit Dr. Angelika Reich und Dr. Murat Özcelik das Ordinationsnetzwerk Avancell (www.avancell-joint.com) gegründet, um sie zusammen mit anderen Orthopäden noch mehr Patienten zugänglich zu machen. „Durch den Einsatz von Stammzellen und Exosomen können diese schmerzhaften Entzündungen, die auch mit Schwellungen und Bewegungseinschränkungen verbunden sind, auf ein Minimum reduziert werden. Zudem arbeiten wir mit Radiofrequenz-Ablation, um die Schmerzen auszuschalten.“ Dabei handelt es sich um Hitzewellen, die über kleine Elektroden die Schmerznerven erreichen und sie ausschalten. Sie heilen also nicht den Knorpelschaden, sondern lindern die Schmerzen.

 

Was sind die Vorteile dieser Methode, die sich gerade etabliert?

Zum einen die Geschwindigkeit der Behandlung. Die Blutabnahme sowie die Gewinnung von Stammzellen aus Blut, Fettgewebe oder Knochenmark inklusive der Injektion in das betroffene Gelenk erfolgt am selben Tag, zumeist in weniger als einer Stunde. Noch in den Stunden danach berichten Weninger zufolge praktisch alle Patienten von einer spürbaren Verbesserung ihres Zustands, also von Schmerzlinderung und größerer Bewegungsfreiheit. Eine Wirkung, die sich in den Tagen darauf noch verstärkt und wie aus internationalen Studien hervorgeht – mindestens sieben Jahre anhält. Weninger selbst hat die Daten von 39 Patienten aus Österreich ausgewertet – 100 Prozent von ihnen berichten von einer signifikanten Schmerzlinderung am selben Tag (gaben sie die Schmerzen vor dem Eingriff auf einer Skala von null bis zehn mit acht bis zehn an, waren es nach der Behandlung zwei bis drei), die auch ein Jahr später noch anhielt. Längere Beobachtungszeiträume gibt es nicht, weil diese Methode in Österreich noch nicht so lange angewendet wird. Ein weiterer Vorteil ist die geringe Komplikationsrate mit de facto null. „Beim Einsatz von Prothesen sind rund 20 Prozent der Patienten anschießend unzufrieden, zudem haben sie eine begrenzte Lebensdauer. Wobei es mir nicht um Kritik an Prothesen geht. Wir sehen uns nicht als Gegner von künstlichen Gelenken, sondern als sinnvolle Ergänzung dazu“, sagt Weninger. „Ich will nur darauf hinweisen, dass in Ländern wie Südkorea, in denen Stammzellen seit Jahren großflächig zum Einsatz kommen, die Prothesenrate sehr gering ist, weil die Vorteile dieser Methode überwiegen. Nicht ohne Grund kam sie daher auch bei Sportlern wie etwa dem Tennisspieler Rafael Nadal, dem Fußballspieler Cristiano Ronaldo und dem verstorbenen Basketballspieler Kobe Bryant zum Einsatz.“ Die Patienten dürfen das Gelenk unmittelbar nach der Behandlung wieder belasten, allerdings sollten Lauf- und Sprungsportarten vier Wochen lang gemieden werden.

 

Wie hoch sind die Kosten und wie viel zahlen die Kassen?

Angewendet werden kann diese Methode bei allen Gelenken, am häufigsten kommt sie beim Knie infrage. Bei einem leichten Knorpelschaden (Arthrose-Grad I bis II) belaufen sich die Kosten auf 1900 Euro, bei einem mittleren (III) auf 3500 Euro und bei einem schweren (IV) auf 4500 Euro. Anschließend ist in der Regel mindestens sieben Jahre keine weitere Behandlung notwendig, danach kann eine weitere erfolgen. Zum Vergleich: Das Einsetzen einer Prothese kostet im Schnitt 40.000 Euro. Weninger zufolge werden Stammzellen in der Orthopädie künftig noch stärker zur Anwendung kommen, etwa bei Bänderverletzungen, Muskelfaser- und Meniskusrissen. „Stammzellen spielen in der Medizin seit Jahrzehnten eine sehr wichtige Rolle, etwa in der Krebstherapie“, sagt er. „Nun setzen sie sich nach und nach auch in der Orthopädie durch.“ Dennoch werden die Kosten für den Einsatz von Stammzellen von den Gesundheitskassen in Österreich noch nicht übernommen. „Zum jetzigen Zeitpunkt liegen aus Sichtweise der Sozialversicherung noch keine eindeutigen Ergebnisse für langfristige Effektivität bzw. Überlegenheit zu Therapiemöglichkeiten vor“, heißt es seitens der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) auf „Presse“-Nachfrage. „Die Österreichische Gesundheitskasse verfolgt mit Interesse die Anwendung und die Ergebnisse in der internationalen Literatur. Zum jetzigen Zeitpunkt sollten derartige Methoden primär im klinischen Bereich mit entsprechender Ergebniserfassung erbracht werden.“ Es sei auch festzuhalten, dass zum Beispiel die Zelltypen, die derzeit die besten Ergebnisse liefern, und zwar im Labor gezüchtete Zellen, in Europa nicht verfügbar seien. Die Voraussetzung guter Ergebnisse sei zudem auch vom individuellen Lebensstil, von den Bewegungsgewohnheiten und vom Körpergewicht der behandelten Personen abhängig.

(c) Artikel von Köksal Baltaci

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